Rede von Thomas Wamsler am 22.10.2015

Rede (Auszug) von Thomas Wamsler, Bevollmächtigter IGM Lörrach am 22.10.2015 auf dem 23. Gewerkschaftstags der IG Metall (18.-24.10.2015) zum Antrag „Friedenspolitik“ [pdf, Seite 97ff]

Vielen Dank, Witich, für das Lob zu unserem Fragenkatalog.

Ein paar Bemerkungen noch von mir dazu, auch warum wir diesen Antrag gestellt haben. Wenn ich lese, im Norden Nigerias wurden über 200 Schülerinnen durch die Boko Haram verschleppt, oder wenn ich lese, dass in Mossul im Irak circa 5.000 entführte Frauen ab einem Alter von zwölf Jahren als Sklavinnen gehalten und auf Märkten zum Kauf angeboten werden, dann habe ich so eine Wut in mir und so ein Gefühl der Ohnmacht, dass ich den tiefen Wunsch verspüre, es käme endlich eine amerikanische Fliegerstaffel, um alle zu befreien.

Aber einen Moment später weiß ich: So einfach geht es nicht. Zum Beispiel bewerten führende Militärexperten den Afghanistan-Einsatz als Niederlage. Warum gibt es keine Bomben, die Frieden bringen, in einer Welt, in der die UNO in ihrer ursprünglichen Funktion als Weltgemeinschaft praktisch kaum mehr funktioniert? Das Thema UNO-Einsätze ist auch so ein Thema, über das wir diskutieren könnten.

Die eingangs geschilderten Bilder hinterlassen in mir das Gefühl von Ohnmacht. Sie hinterlassen auch viele Fragen: Was ist der richtige Weg? Was ist zu tun?

Oder ein anderes Thema: Wissen wir, wer unter den Sanktionen gegen Russland, einem Handelskrieg, wirklich leidet? Sind es die reichen Oligarchen, oder ist es am Ende der Kette nicht etwa der sibirische Arbeiter, der jetzt mit seiner Familie in einer verlorenen Trostlosigkeit sitzt, weil seine Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird?

Wenn ich bei diesem Thema an den sibirischen Kollegen denke und dabei die Sanktionen gegen Russland in Frage stelle, gelte ich dann als Putin-Befürworter, was ich nicht sein will? Oder was ist der richtige Weg in dem grauenvollen Krieg mitten in Europa in der Ukraine?

Diese und viele andere Fragen treiben mich um, und ich bin mir sicher, Euch auch. Einige davon haben wir in dem Antrag beschrieben. Es sind Fragen, auf die ich keine Antwort habe oder auf die es viele Antworten gibt.

Als wir den Antrag in unserer Delegiertenversammlung einstimmig beschlossen haben, kamen einige Delegierte auf mich zu und sagten, dass es derzeit keinen Ort gibt, an dem diese Fragen und Ängste einen Raum haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die IG Metall war und – ich hoffe – ist ein wesentlicher Bestandteil der Friedensbewegung. Genau wir als IG Metall sollten diesen Raum anbieten. Das ist wichtig. Das Thema Friedenspolitik ist sicher auch viel wichtiger als die acht bis zehn Zeilen in der Entschließung, in denen dieses Thema benannt wird, wo allerdings von einer Debatte über Friedenspolitik nicht die Rede ist.

Wir haben in unserem Antrag ganz bewusst die Form und den Ort einer solchen Debatte offengelassen. Es ist uns nicht wichtig, wie und wo sie geführt wird, sondern dass sie geführt wird. Wir wollen keinen neuen bürokratischen Arbeitskreis, sondern einen Ort schaffen, an dem Menschen sich mit diesem Thema beschäftigen.

Es ist uns auch wichtig, dass es eine breite Debatte gibt, die sich auch widerspiegelt in der öffentlichen Wahrnehmung der IG Metall als Organisation, die vehement für den Frieden eintritt.

Ich persönlich als Antragsteller würde mich freuen, wenn sich die ABK dazu durchringen könnte die ersten beiden oder die ersten drei Absätze aus dem Antrag als Antrag anzunehmen. Der Rest ist natürlich Material und auch als solches gedacht.

Ich fände es ein schönes Zeichen, wenn dieser Gewerkschaftstag den Beginn einer neuen breiten Debatte über Friedenspolitik beschließt und damit deutlich wird, dass wir, die IG Metall, es sind, die geeignete Plattformen für solche Diskussionen anbietet.

Falls die Antragberatungskommission dem nicht folgen kann und die Empfehlung Annahme als Material zur Entschließung bestehen bleibt, möchte ich Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, auffordern, mit der Umsetzung dieses Antrags nach dem Gewerkschaftstag auch wirklich anzufangen und die Forderungen auch wirklich in irgendeiner Weise umzusetzen.

Denn was sind all unsere betriebs- und tarifpolitischen Erfolge wert, wenn Bomben fallen? In Donezk, einer Stadt mit einer ehemals ähnlichen Internetdichte wie Köln, haben sich von heute auf morgen alle Werte verändert. Damit so etwas bei uns nicht passiert, müssen wir damit beginnen, um den Weg zu ringen, damit es nicht geschieht. Beginnen wir damit jetzt.