Rede von Reiner Hoffmann am 02.10.2016
Referat von Reiner Hoffmann, DGB Vorsitzender am 02.10.2016, IPB World Congress 2016 “Disarm! For a Climate of Peace” [Link]
Die gewerkschaftliche Konversionsdebatte hat in den letzten Jahren wieder Fahrt aufgenommen
Das Thema Rüstungskonversion steht seit einigen Jahrzehnten im Zentrum des friedenspolitischen Engagements der Gewerkschaften. Es wurde maßgeblich durch den sogenannten Lucas-Plan beeinflusst. Im britischen Unternehmen Lucas Aerospace wurden Mitte der siebziger Jahre zu ca. 50 Prozent Rüstungsgüter produziert. Dem Betrieb drohten Massenentlassungen, weshalb eine Initiative aus Gewerkschaftern, angeführt vom später gefeuerten Mike Cooley, im Januar 1976 einen Plan entwickelte. Mit ihm sollte die Produktion auf „sozial sinnvolle” Güter umgestellt werden. Insgesamt wurden so 150 Produktideen entwickelt, die aus dem heutigen Blickwinkel äußerst innovativ wirken, wie Windräder, umweltschonende Transportsysteme, Dialysegeräte etc. Im Betrieb selber wurden diese Vorschläge nicht berücksichtigt, dafür fanden sie umso mehr Beachtung unter Kollegen anderer Betriebe, unter Politikern, Wissenschaftlern und Umweltaktivisten. Der Lucas Plan entwickelte sich für pazifistische Basisbewegungen zum Symbol. 1979 wurde er sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Die öffentliche Beachtung war enorm. Mike Cooley wurde in deutschen Betrieben auf Initiative der IG Metall eingeladen. Viele Arbeitskreise „Alternative Produktion” bildeten sich daraufhin und machten ebenso Vorschläge für neue Produkte. Die meisten Vorschläge (wie Niederflurbusse und Blockheizkraftwerke) wurden aber von anderen Herstellern aufgegriffen und selten in den beabsichtigten Betrieben umgesetzt.
Ein gelungenes gewerkschaftliches Konversionsbeispiel, das vielleicht ohne den Lucas-Plan undenkbar gewesen wäre, ist die Umwandlung der Panzerfabrik MAK in Kiel zu einem Standort des Lokomotivbaus. Es dauerte über ein Jahrzehnt bis die Vorschläge der betrieblichen Interessenvertretung mit der Gewinnung eines Investors 2004 realisiert werden konnten. Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die Nordseewerke in Emden, in denen von Thyssen-Krupp bis 2010 U-Boote gebaut wurden. 1.400 Beschäftigte waren aufgrund von Auftragsrückgängen von der Kündigung bedroht. Vorstand und Arbeitnehmervertretungen einigten sich auf eine Übernahme durch einen Investor für Offshore-Windparks. Trotz konjunktureller Turbulenzen konnte sich der Standort halten. Auch innerhalb des Airbus-Konzerns werden immer wieder vorbildliche Konversionsbeispiele von Gewerkschaften und Betriebsräten initiiert. Airbus Helikopters in Donauwörth war ursprünglich ein rein militärischer Betrieb und fertigt heutzutage zu 80 Prozent zivile Produkte.
Eines hat die Debatte um Rüstungskonversion in den achtziger Jahren gezeigt: Konversion muss in ein industriepolitisches Konzept eingebunden werden. Darin hatten viele Ansätze ihre Defizite und zugleich ist dieser Aspekt eine gegenwärtige Chance Rüstungskonversion effizienter zu betreiben. Der äußerst aktive „Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze” in der IG Metall hat dazu fortschrittliche Forderungen entwickelt: Zum Beispiel müsse Technologiepolitik stärker auf „Dual-use-Produkte” setzen, damit der „Konversions-Übergang” von militärischer zu ziviler Nutzung durch die Verkürzung von Innovationszyklen effizienter gestaltet werden kann. Diese Forderung ist auch Bestandteil einiger Forschungsrahmenpläne der EU-Kommission. Zur Untermauerung dieser technologiepolitischen Forderungen schlägt IndustriALL, der Weltverband der Industriegewerkschaften, die Förderung und Einrichtung von Hochschulinstituten vor, die sich intensiv der Erforschung von zivilen Produktionen in wehrtechnischen Betrieben widmen.
Die Hauptbremser der Rüstungskonversion sind auch heute noch die Arbeitgeber, die dieses Engagement ihrer Mitarbeiter als Einmischung betrachten. Betriebliche Demokratie und Mitbestimmung sind deshalb erste Voraussetzung für den Erfolg von Konversionsprojekten. In mitbestimmten Mischkonzernen (z.B. Airbus) sind solche Projekte sehr gut durchsetzbar. In KMUs werden die Konversionsinitiativen der Betriebsräte häufiger als Einmischung in die Geschäftspolitik gesehen. Da aber der Großteil der deutschen Rüstungsbetriebe Mischkonzerne (zivil und militärisch) sind, können die Umsetzungsmöglichkeiten für Konversionsprojekte ganz zuversichtlich eingeschätzt werden.
Konversionsprozesse scheitern oft auch an der Profitabilität der militärischen Güter im Vergleich zu zivilen. Deshalb setzen trotz Auftragsrückgang manche Unternehmen weiter auf Rüstung. Auch daran macht sich deutlich, dass eine nachhaltige Konversion gar nicht ohne staatliche Begleitung zu schaffen ist.
Die gewerkschaftliche Konversionsdebatte hat in den letzten Jahren wieder Fahrt aufgenommen. Der IG Metall-Vorstand hat auf seinem letzten Gewerkschaftstag 2015 ein Projekt zur Konversion und Diversifikation in wehrtechnischen Betrieben beschlossen, dass 3 Elemente beinhaltet:
- Die Erstellung eines betrieblichen Handlungsleitfadens für Innovationsprojekte, zu dem auf regionaler Ebene Workshops stattfinden sollen.
- Den Start eines industriepolitischen Dialogs mit Politik und Sozialpartnern.
- Die Einrichtung eines Fonds für Diversifikation und Konversion, durch das auch betriebliche Akteure unterstützt werden.
Die weiter fortschreitende Umstrukturierung der Rüstungsindustrie erfordert diese umfassendere Strategie. In beiden Deutschlands arbeiteten vor dem Fall der Mauer zusammen genommen 400.000 Menschen in der Rüstungsindustrie. Heute sind es noch ungefähr 90.000 Beschäftigte in ca. 350 Unternehmen. Deutschland ist gegenwärtig nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Bei U-Booten ist Deutschland sogar auf Platz 1, bei Panzern auf Platz 2. Den schlimmsten Schaden für die Menschen verursachen in erster Linie die Kleinwaffen, von denen in Deutschland viele produziert werden. Am gesamten Exportvolumen der Bundesrepublik haben die Rüstungsgüter aber nur einen geringen Anteil von 0,6 % (2013). Die deutsche Rüstungsindustrie ist heutzutage aber nur eine statistische Größe, da sie inzwischen soweit europäisch verflochten ist, dass bei den größeren technologisch anspruchsvollen Projekten kaum ein militärisches Gerät nur in einem Land produziert werden kann. Deshalb brauchen wir eine europäische Perspektive auf die Rüstungsindustrie. Eine Voraussetzung dafür ist eine konsequente Abrüstungsstrategie der Europäischen Union. Denn eigentlich ist die europäische Einigung ein Konversionsprojekt. Seit Jahrhunderten werden die meisten Waffen auf der Welt in Europa produziert damit muss endlich Schluss sein!
Daran wird deutlich, dass wir eine breitere Debatte über Rüstungskonversion benötigen. Und wir benötigen sie erst recht aufgrund der drängenden Herausforderungen der Gegenwart. Der Außenminister Steinmeier sieht in Anbetracht der vielen Konfliktregionen unsere „Welt aus den Fugen”. Die steigende Zahl von Flüchtlingen aus Krisengebieten macht die Notwendigkeit deutlich, dass wir uns der Bekämpfung der Fluchtursachen, zu denen auch Waffenexporte zählen, intensiv widmen. Die aktuelle Debatte über Rüstungsexporte in Krisenregionen und die Richtlinien des Wirtschaftsministers Gabriel machen das deutlich. Wir müssen stärker darüber nachdenken, wie wir es schaffen vormalige Kriegsgebiete nachhaltig zu befrieden. Länder wie Kolumbien und Bosnien führen uns das vor Augen. Wir haben in Deutschland eine Parlamentsarmee mit gewerkschaftlichen Rechten geschaffen. Das ist eine Errungenschaft vor dem Hintergrund unserer Geschichte, die auch für andere Länder als Vorbild dienen sollte. Wir Gewerkschaften als gesellschaftspolitische Akteure organisieren nicht nur die Rüstungsbetriebe, sondern auch die Armee. Das ist nur in wenigen Ländern selbstverständlich. Deshalb haben wir uns auch klar gegen den Einsatz der Bundeswehr im „Inneren” positioniert.
Im Zuge der Digitalisierungsdebatte wird uns eine weitere Herausforderung für die Zukunft bewusst. Die Grenzlinie zwischen zivilen und militärischen Produkten ist immer fließender. Zivil konzipierte Innovationen der Computertechnologie, also Hardware und Software, können auch für militärische Zwecke nutzbar gemacht werden. Cyber Wars sind schon längst Realität. Der Drohnenkrieg wird von den USA seit einigen Jahren intensiv geführt. Aber auch die handelsüblichen Drohnen, die eigentlich nur zivilen Zwecken dienen sollen, fanden schon Anwendung in Konfliktgebieten. Auch militärisch genutzte Hackerangriffe auf die zivile Infrastruktur eines Landes sind möglich. Die Digitalisierung muss auch in der Friedens- und Sicherheitspolitik eine Rolle spielen müssen. Denn jetzt kann noch auf viele Entwicklungen Einfluss genommen werden. Wir müssen ein „digitales Faustrecht” verhindern.
Gegenwärtig wird aber auch die Relevanz von Klimapolitik für Frieden und Gerechtigkeit thematisiert. Im Zentrum vieler Transformationsdebatten stehen Umweltkatastrophen (wie Dürre, Überschwemmungen und Verschmutzungen landwirtschaftlicher Flächen) als Ursache für Migration und Krieg. Insofern kann die Konversion unserer Wirtschaft auch einen Beitrag für eine zukunftsfähige Klimapolitik im Zeichen des Pazifismus leisten. Denn Transformation meint nicht nur die ökologische Dimension unserer Lebensweise, es muss auch die soziale Dimension unseres Zusammenlebens mit gedacht werden. Armut und Ungleichheit sind mindestens ebenso Ursache von Migration und Krieg. Das zunehmende Auseinanderklaffen von Arm und Reich wird inzwischen von vielen Internationalen Organisationen als Gefahr für ein friedvolles Zusammenleben weltweit gesehen.
Humanismus und Pazifismus sind zwei fundamentale Werte der freien Gewerkschaften. In der DGB-Satzung heißt es: „Der Bund und die in ihm vereinigten Gewerkschaften treten für eine allgemeine und weltweit kontrollierte Abrüstung, für die Verwirklichung und Erhaltung des Friedens und der Freiheit im Geiste der Völkerverständigung ein.” Krieg, Terror, Klimawandel, Ungleichheit, Hunger und die steigenden Migrationsströme fordern uns gegenwärtig auf, eingeschlagene Wege grundsätzlich zu reflektieren und nach komplexen Lösungen zu suchen. Der Transformationsbegriff eignet sich dafür, denn er hat zum Ziel die Lebensgrundlagen der Gesellschaft langfristig zu sichern. Häufig wird Friedenspolitik in seiner Verwendung vernachlässigt. Aus diesem Grund gehört diese Diskussion auf den IPB-Kongress. Der Weg zu einer friedlichen, gerechten und ökologisch verantwortungsvollen Weltordnung muss immer zusammen gedacht werden.