Gibt es eigentlich noch etwas anderes als Waffen zu produzieren?
Artikel von Anne Rieger in der Zeitung gegen den Krieg, Ausgabe Nr. 40, Frühjahr 2017, Seite 6. Anne Rieger war Zweite Bevollmächtigte der IG Metall in Waiblingen und ist aktiv in der Friedensbewegung in Deutschland und in Österreich. [Link zur Zeitung, pdf]
Wir sagen Nein zur Aufrüstung der Bundeswehr, zur Produktion von Kriegswaffen und zu Rüstungsexporten. … Wir fordern stattdessen Abrüstung und die Rüstungs- und Kriegesmilliarden für soziale Zwecke zu verwenden!“. Dies forderte die Kreiskonferenz des DGB Kiel am 2. März 2017. Gleichzeitig rief sie alle DGB Mitglieder auf, sich am Ostermarsch zu beteiligen.
Konversionsprojekt der IG Metall
Schon zuvor hatten die Delegierten des IG Metall-Gewerkschaftstags im Oktober 2015 ein klares Signal ausgesendet: Die Rüstungskonversionsdebatte muss wiederbelebt werden. Bereits im Vorfeld des Kongresses begann in Vertrauenskörpersitzungen, Ortsvorständen und Delegiertenversammlungen die Diskussion. Das Ergebnis waren 24 Anträge zu Konversion und Frieden an den Kongress. Vier Jahre vorher waren es gerade mal drei Anträge gewesen, die dann ohne Diskussion „durchgewunken“ wurden. Diesmal positionierten sich mehrere Delegierte in der Debatte eindeutig „gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr“, für ein „Verbot von Waffenexporten“ und forderten eine „Wiederaufnahme der Diskussion über Rüstungskonversion“.
Nach Jahren des Stillstandes hat die Diskussion um Konversion damit in der IG Metall wieder Fahrt aufgenommen. Sie zeigt aber auch das Dilemma der Arbeitskräfte in der Rüstungsbranche als lohnabhängig Beschäftigte in einer privatkapitalistisch organisierten Produktion. Ihr Bewusstsein ist geprägt – wie das aller Lohnabhängigen – von der Angst um den Arbeitsplatz. Auch der Spagat der IG Metall als Organisation, die sich sowohl „für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung“ ebenso einsetzt wie für die „wirtschaftlichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder“, wurde in der Debatte und in den Anträgen deutlich.
Die Delegierten des Gewerkschaftstages forderten u.a., die Rüstungsausgaben deutlich zu senken und einen Konversionsfonds und Projekte zur Rüstungskonversion einzurichten. Gefordert wird aber auch eine Erhöhung des Innovationsfonds des Wirtschaftsministeriums für Diversifikationsprojekte und dabei ein Antragsrecht der IG Metall und der Betriebsräte. Als konkretes Ergebnis des Gewerkschaftstages hat der Vorstand ein Projekt „für Konversion und Diversifikation in Betrieben der wehrtechnischen Industrie“ gestartet. „Ziel ist es Betriebsräte und Belegschaften der Rüstungsindustrie bei der Suche nach anknüpfungsfähigen Produkten für zivile Märkte zu unterstützen“ und als IG Metall den Suchprozess aktiv anzustoßen. Entwickelt werden soll ein betrieblicher Handlungsleitfaden für Innovations- und Diversifikationsprojekte, betriebliche Workshops in Zusammenarbeit mit der IGM sowie ein Strategiepapier auf der Basis der Erfahrungen aus den Workshops.
Bündnispartner
Konversion muss gegen staatliche und wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden. Ende Juni 2016 beschloss der EU-Rat, die EU müsse „eine schlagkräftige europäische Rüstungsindustrie schaffen, die ausschlaggebend dafür ist, dass Europa eigenständig entscheiden und handeln kann.“ (Siehe S. 7) Die deutsche Regierung ist Treiber dieser Politik, denn Rüstungskonzerne sind an den hohen und nachhaltigen Profiten interessiert. Beschäftigte und ihre Gewerkschaften haben es mit starken Gegenmächten zu tun, wenn sie Rüstungsproduktion in zivile Produktion umgestalten wollen. Deswegen können IG Metall und Rüstungsbeschäftigte nicht allein gelassen werden in ihrem Kampf um Umstellung auf zivile Güter. Sie brauchen Bündnispartner aus der Friedensbewegung und der gesamten Gesellschaft. Konrad Ott, IG Metall Bevollmächtigter erklärte Ende 2016 auf dem Friedensratschlag: „Die Abhängigkeit und Existenzangst der Beschäftigten darf nicht dazu führen, dass Arbeiter aus Rüstungsbetrieben unter die sprichwörtliche ‚Glasglocke’ gestellt werden. Anstelle der moralischen Vorwürfe, die nur Ablehnung hervorrufen können, sind die Beschäftigten mit der Problematik und den Widersprüchen von Rüstungsproduktion und dem damit zusammenhängendem Sozialabbau, Massenarbeitslosigkeit, Menschenrechtsverletzungen und Friedensgefährdung zu konfrontieren. Das muss aber auf einer inhaltlichen und solidarischen Diskussionsebene geschehen! Möglichkeiten von Perspektiven und Alternativen, wie man die Rüstungsunabhängigkeit überwinden kann, sind mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen und nicht gegen sie zu diskutieren.“
Die Forderung, „den Wehretat in einem ersten Schritt einzufrieren und in einem zweiten Schritt pro Jahr um 5 Prozent zu senken, muss wieder auf die Tagesordnung der Friedensbewegung und der Gewerkschaften gestellt werden“, forderte Ott. Die frei werdenden Mittel könnten dann als Friedensdividende für die Rüstungskonversion eingesetzt werden. Für die Beschäftigten, die in den Rüstungsbetrieben ihre Existenzgrundlage haben, kann damit eine Win-Win Situation geschaffen werden.
Rüstung und Sozialabbau = zwei Seiten einer Medaille
Auch die Kürzungen im Sozial- und Rentenbereich, bei der öffentlichen Infrastruktur wie Schulen, Sportstätten, Bahnstrecken und Straßen oder der Verkauf von Krankenhäusern zeigen, wofür Steuergelder sozial und ökologisch nützlich ausgegeben werden müssten. „Für die Sanierung der Schulen fehlen rund 35 Milliarden Euro, das entspricht in etwa der geplanten Erhöhung der Rüstungsausgaben pro Jahr“, so Katja Kipping. Sie rechnet vor: „1.250.000 Sozialwohnungen statt 1.775 Schützenpanzer oder 60 Eurofighter“ könnten gebaut werden. Bündnisse aus Gesellschaft und Friedensbewegung und Beschäftigten der Rüstungsbranche können zivile Alternativen vorantreiben. Ausgaben für Bildung, Renten und Gesundheit führen leicht zur Verletzung der EU-Defizitkriterien, Rüstungsmilliarden dagegen werden aus dem Staatsdefizit herausgerechnet.
Zivilklausel
Auch aus den Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen wachsen Bündnispartner zu. Seit 2009 entwickelt sich die Zivilklauselbewegung. Sie fordert friedliche und zivile Hochschulen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Die Zivilklausel ist eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen. Bis 2009 hatten sich zwölf Hochschulen dazu verpflichtet, zu Frieden beizutragen. Mittlerweile sind es 62. „Die Rüstungsindustrie ist not amused und beklagte 2014, ihre Bedingungen hätten sich durch die Ausgrenzung militärischer Forschung aufgrund der Erfolge der Zivilklauselbewegung an den Hochschulen deutlich verschlechtert“, so Senta Pineau vom AK Zivilklausel an der Uni Köln auf dem SDS-Bundeskongress.
Eine Ächtung der Profite aus der Waffen- und Rüstungsproduktion kann die Diskussion um zivile Güter statt Waffen wieder beleben. Denn wer Hundefutter produziert braucht Hunde, wer Waffen produziert, braucht Kriege, sagte ein holländischer Zwangsarbeiter, einst bei Mauser beschäftigt. Es geht darum, gemeinsam Kriege, Rüstungsforschung und -produktion zu verhindern.