Ostermarsch Rede Jordana Vogiatzi zu Konversion
Jordana Vogiatzi, IGM Gewerkschaftssekretärin Stuttgart, Ostermarsch Baden-Württemberg in Stuttgart am 20. April 2019
– Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Freundinnen und Freunde des friedlichen Miteinanderlebens,
Mit Krieg verdienen ein paar wenige sehr viel Geld auf Kosten vieler. Am Frieden verdienen wir alle – aber eben kein Geld. Diese beiden Sätze beschreiben im Wesentlichen schon das ganze Dilemma.
Für mich als Pazifistin ist dieses Dilemma lösbar: weniger Geld für Rüstung ausgeben und am besten, einfach überhaupt keine Waffen mehr produzieren. Auf den ersten Blick nicht schwierig für Deutschland denn der Wohlstand Deutschlands und auch der Titel des Exportweltmeisters hängt nicht von der Rüstungsindustrie ab. Der Anteil der Rüstungsexporte an allen Ausfuhren liegt bei etwa 0,6 Prozent. Wir könnten weiterhin gut leben und unser Gewissen, dass Menschen ausserhalb Europas sich mit deutschen Waffen umbringen, wäre erleichtert. Ein bisschen zu kurz gesprungen ist es schon, gibt es doch noch andere Länder wie die USA oder auch Frankreich, die weiterhin Waffen produzieren und exportieren und munter Geld verdienen. Aber ein jeder Kehr vor seinem eigenen Tor, da hat er Dreck genug davor.
So sehr mir also dieser Gedanke „Waffen abschaffen“ gefällt, und so sehr dieser auch richtig und wichtig ist, gibt es für mich als Gewerkschafterin auch eine Problematik, die ich nicht vernachlässigen darf: Was tun mit den Menschen, die in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie arbeiten? Im Betreuungsbereich der IG Metall wurden Ende 2017 etwa 100.000 Beschäftigte identifiziert, die in diesem Sektor arbeiten. Etwa Ein Drittel davon sind Mitglieder in unserer Gewerkschaft.
In meinem Alltag als Gewerkschafterin bin ich der Sicherung von Arbeitsplätzen und fairer Bezahlung verantwortlich. Und selbst wenn wir in Stuttgart kaum Rüstungsindustrie haben, muss ich in meinen Überlegungen auch an diejenigen denken, die an der Küste arbeiten und U-Boote produzieren, in Kassel Panzern schweißen oder rund um den Bodensee Flugzeuge bauen.
In diesen Regionen ist der Zusammenhang von Arbeitsplätzen und Abrüstung direkt zu sehen.
Doch auch hier gibt es zwei Schlagworte, die diesen Widerspruch lösen könnte: Konversion und Diversifizierung. Das bedeutet die Umstellung der Produktion von Rüstungsgütern auf zivile, gesellschaftlich nützliche Produkte. Diese Umstellung schließt die Diversifizierung ein, um Unternehmen mit hohem Rüstungsanteil langfristig unabhängig von Rüstungsaufträgen zu machen.
Das Programm DIVERS des Bundeswirtschaftsministeriums wurde 2016 auf Initiative der IG Metall eingerichtet. Und 2019 stellte das Ministerium dieses Programm ein mit der Begründung, dass es Begehrlichkeiten anderer Referate im Ministerium gab. Wir haben das scharf kritisiert und einen neuen Diversifikationsfonds gefordert. Auf betrieblicher Ebene haben wir letztes Jahr gemeinsam mit Betriebsräten und Vertrauensleuten das Projekt Konversion und Diversifikation aufgelegt, um die Diskussion in den Betrieben voranzutreiben.
Die IG Metall hat sich auf dem DGB-Bundeskongress 2018 zugunsten verstärkter Initiativen für Abrüstung und Rüstungskonversion engagiert. Der Bundeskongress hat den Appell der Friedensbewegung Abrüsten statt Aufrüsten, also das Motto der diesjährigen Ostermärsche, unterstützt und sich gegen die Forderung der NATO nach einer Erhöhung des Rüstungsetats auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gerichtet. Für mich bedeutet das: Die IG Metall ist Teil der Friedensbewegung.
All diese Bemühungen gehen in die richtige Richtung aber solange Rüstungsunternehmen mit der Waffenproduktion glänzend verdienen, solange sie Konversion als Hindernis sehen, die ihre Profite schmälern und so lange Abrüsten statt Aufrüsten politisch nicht gewollt und nicht gefördert wird, wird es schwierig sein das Konzept des „Umbaus statt Abbaus der Arbeitsplätze“ umzusetzen. Es gilt also auch hier: Dranbleiben und weitermachen.
Liebe Mitmenschen,
Viele waren schockiert als Notre Dame, eines der Wahrzeichen von Paris, lichterloh brannte. Ich sah Bilder einer brennenden Kirche und Menschenmassen drumherum, die ihre Handys hochielten, dem Spektakel zusahen und vollkommen fassungslos und schockiert waren. Ich versuchte betroffen zu sein als ich diese Bilder sah. Ich gestehe, es misslang mir. Niemand floh, niemand rannte um sein Leben und ich dachte mir, schade, aber keine Sorge, diese Kirche wird wieder aufgebaut.
Ich reflektierte wieso ich nicht betroffen war. Nun, keine emotionale Verbundenheit aber der Grund war ein anderer. Wir, in Europa, sind es gewohnt in Frieden zu leben. Wenn ein Bauwerk kaputt geht, kommen die Millionäre und Milliardäre aus ihren Löchern gekrochen und bauen es auf; die Politik tut ihr übriges – plötzlich ist Geld da und es politisch gewollt.
Mir wurde klar wie priviligiert wir Europäer sind:
Bilder von Kriegsschauplätzen, von bombadierten Gebäuden, von bewaffneten Männern, von traumatisierten Frauen, von brennenden Kirchen, Synagogen und Moscheen, von zerstörten kulturellen Bauwerken, von fliehenden Menschen und weinenden, schreienden Kindern überdeckt mit Schutt und Asche, kennen die meisten von uns Europäern, zumindest meine Generation, nur aus dem Fernsehen. Denn Krieg passiert ausserhalb den Toren Europas.
Frieden, liebe Mitmenschen, sollte kein Privileg sein sondern ein Menschenrecht.
Mit dem Export von Frieden verdient man kein Geld aber Achtung und Respekt. Und das sollte unser Anspruch sein.