Beschäftigungssicherheit in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland

Vom 23. Gewerkschaftstags der IG Metall (18.-24.10.2015) auf Antrag der Verwaltungsstelle Augsburg in geänderter Fassung als Material zur Entschließung „Friedenspolitik und Rüstungskonversion“ am 22.10.2015 beschlossen [pdf, Seiten 111ff]

  1. Die IG Metall setzt sich dafür ein, dass der vom Bundeswirtschaftsministerium geplante Innovationsfonds für Diversifikationsprojekte angemessen erhöht wird und auch Betriebsräte sowie die IG Metall antragsberechtigt werden. Hierzu müssen die Forschungsaufwendungen staatlich verstärkt und der Know-how-Transfer hin zu zivilen Produkten gefördert werden.
  2. Die IG Metall setzt sich dafür ein, den vom Bundeswirtschaftsminister 2014 gestarteten industriepolitischen Dialog zur Entwicklung der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie zu institutionalisieren und hierfür einen Branchenrat einzurichten.
  3. Die IG Metall setzt sich aktiv für die Interessen der Beschäftigen ein, damit der Strukturwandel in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht. Der IG Metall Vorstand unterstützt in Abstimmung mit dem jeweiligen Bezirk Verwaltungsstellen, die Betriebe der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie betreuen, um den Strukturwandel in der Branche zu begleiten.
  4. Der IG Metall Vorstand begleitet die Konsolidierung der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie in Europa und arbeitet hierzu eng mit IndustriALL Europe und den europäischen Schwestergewerkschaften zusammen.
  5. Der IG Metall Vorstand entwickelt mit den Vertrauensleuten und Betriebsräten aus wehrtechnischen Betrieben sowie den betroffenen Verwaltungsstellen einen Leitfaden zur Diversifikation und Konversion. Dabei sind die Erfahrungen der 80er- und 90er-Jahre aufzunehmen.
  6. Die IG Metall unterstützt eine weltweite Waffenhandelskontrolle und eine restriktive Genehmigungspraxis von Waffenexporten durch die Bundesregierung. Notwendig sind mehr Transparenz sowie eine strikte Endverbleibskontrolle. Die IG Metall fordert die sofortige Einstellung der Lieferung von Kleinwaffen in Krisengebiete, da diese Kleinwaffen gerade auch in Bürgerkriegen zum Einsatz kommen.
  7. Die Beschäftigten in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie haben ihren Platz in der IG Metall. Faire Einkommen, anständige Arbeitsbedingungen, sichere Arbeitsplätze – dies wollen auch die Gewerkschaftsmitglieder, Vertrauensleute und Betriebsräte. Gleichwohl ist diese Branche keine wie jede andere. Schon die Bezeichnung sorgt oftmals für Diskussionen, auch und gerade innerhalb der Gewerkschaften. Derzeit sind rund 200.000 Beschäftigte, davon viele hoch qualifiziert, direkt oder indirekt in der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie Deutschlands beschäftigt. Nach Industrieangaben erwirtschaften sie einen Umsatz von 16 Milliarden Euro.
  8. Die Bundesregierung nimmt in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie eine zentrale Rolle ein. Sie entscheidet über künftige Technologien, die Ausrüstung der Bundeswehr, die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der gewerblichen Wirtschaft, bündnispolitische Kooperationsprojekte, grenzüberschreitende Unternehmensplanungen und Exporte. Aus dieser zentralen Rolle folgt die Verantwortung der Regierung für die Beschäftigten.
  9. Die IG Metall betont: Strukturwandel und politisch induzierte Veränderungen dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Notwendig für Unternehmen und Beschäftigte sind Klarheit und Planungssicherheit. Das gilt zuerst für die Ausstattung der Bundeswehr. Es muss Klarheit geschaffen werden, welche Fähigkeiten künftig benötigt, welche Technologien und welche Ausrüstung beschafft werden sollen. Einmal verlorene industrielle Fähigkeiten lassen sich kaum mehr neu aufbauen.
  10. Von staatlicher Seite ist die Grundlagenforschung weiterhin zu unterstützen sowie die Vernetzung der Forschung auszubauen. Staatliche Aufträge müssen einen Teil der Forschungs- und Entwicklungskosten, insbesondere auch für Diversifikations- und Konversionsprojekte, decken. Ziel muss es sein, einem Abbau von Forschungs-, Entwicklungs- und Konstruktionskapazitäten entgegenzuwirken, damit dauerhaft technologisches Know-how sowie die Fähigkeit zur eigenständigen Entwicklung nicht verloren gehen. Insbesondere ist die weitere Vernetzung mit dem zivilen Bereich zu fördern, um einen Innovationsabfluss zu gewährleisten.
  11. Erschließung ziviler Märkte muss im Rahmen der Diversifikation, also der Verbreiterung der Produktpalette auf Basis der Technologien, die ein Unternehmen mit seinen Beschäftigen beherrscht und innovativ weiterentwickeln kann, weiter vorangetrieben werden. Hier stehen Unternehmen und Regierung in der Verantwortung. Die Entwicklung alternativer Projekte erfordert mittel- und langfristige Strategien, für die verlässliche politische Rahmenbedingungen vereinbart werden müssen. Hier stehen Unternehmen und Regierung in der Verantwortung, um die technologische Kompetenz, das Know-how der Beschäftigten und die industrielle Systemfähigkeit zu sichern und auszubauen. Zudem fordern IG Metall und Betriebsräte aus der wehrtechnischen Industrie einen Aufstockung des Diversifikationsfonds, bei dem sowohl Unternehmen als auch Betriebsräte und die IG Metall antragsberechtigt und alle Beteiligten im Fondsbeirat vertreten sind sein müssen.
  12. Technologien für die Bundeswehr, Diversifikation und europäische Zusammenarbeit müssen in eine neue, stringente Industriepolitik münden.
  13. Die IG Metall hält eine weltweite Waffenhandelskontrolle für notwendig. Deshalb unterstützte die IG Metall die Kampagne von Amnesty International zum Arms Trade Treaty. Gleichzeitig befürwortet die IG Metall gemeinsam mit allen europäischen Industriegewerkschaften eine deutlich bessere Abstimmung innerhalb der EU. Exportmöglichkeiten dürfen nicht vor Menschenrechten gehen. Hier muss es europaweit ein gleiches Verständnis und klare gemeinsame Exportregeln geben.
  14. Die IG Metall erneuert ihren bereits 2012 eingebrachten Vorschlag eines institutionalisierten, industriepolitischen Dialogs von Regierung, Unternehmen, Wissenschaft, Gewerkschaft und Betriebsräten, um zukunftsorientiert die äußerst komplexen Themen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu bearbeiten.
  15. Diese notwendigen Aktivitäten und politischen Initiativen der IG Metall müssen koordiniert und abgestimmt werden. Dies kann weder durch die Betriebsräte noch die Verwaltungsstellen oder Bezirksleitungen geschehen. Der IG Metall Vorstand unterstützt daher in Abstimmung mit dem jeweiligen Bezirk Verwaltungsstellen, die Betriebe der wehr- und sicherheitstechnischen Industrie betreuen, um den Strukturwandel in der Branche zu begleiten.